Reportage von Lesya Kharchenko

Nadiya Serhiivna Buntschuk, geboren 1945, lebt im Dorf Wasyliwka im Gebiet Mykolajiw.
Auf dem Hof von Nadiya Buntschuk herrscht Hochbetrieb. Hinter dem Haus arbeitet sie selbst in einer Imkermaske und kümmert sich um die Bienenstöcke. “Es ist eine langjährige Leidenschaft von mir”, sagt sie. Ein junger Mann, Viktor, repariert etwas in der Nähe des Hauses, wo man den Krater von dem Einschlag einer Granate und eine beschädigte Hauswand sehen kann. Er ist ein Schüler von Nadiya Buntschuk, die seit vierzig Jahren als Lehrerin für ukrainische Sprache und Literatur arbeitet und als Schulleiterin tätig ist.
“Ich habe ihm die Imkerei beigebracht und er war fasziniert. Also habe ich ihm die meisten meiner Bienenstöcke geschenkt. Wenn jemand begeistert ist, wie kann man ihn dann nicht unterstützen?“
Aber jetzt repariert Viktor das Haus. Die Granate schlug ein, als Nadiya Buntschuk nicht zu Hause war, und glücklicherweise wurde sie nicht verletzt. Sie erinnert sich an den Beginn des Krieges:
“Ich erinnere mich, wie ich am Morgen im Februar so lag und mein ältester Sohn aus Cherson anrief: ‘Mama, was machst du?’ Ich liege.” “Hast du den Fernseher an? Schalte den Fernseher ein.” “Was ist los?” “Ma, es ist Krieg. Russland hat den Flugplatz angegriffen und bombardiert.”


Die Menschen gingen aus ihren Häusern auf die Straße. Und dann hörten wir Explosionen –- es waren Bombenangriffe aus Flugzeugen. Raketen flogen. Nadiya Buntschuk versteckte sich im Keller und erzählt, dass es manchmal sehr beängstigend war.
“Sie bewegten sich die Straße entlang. Wir hatten Angst so direkt hinzuschauen, aber wir haben durch den Spalt geschaut: ein Panzer, der zweite, der dritte, sie kamen, kamen, kamen nach Jewheniwka.”
CN: Der folgende Abschnitt enthält Schilderungen von Folter.
Die Zeit der Besatzung und die Entführung ihres Sohns
Das Schlimmste erlebte sie war jedoch in der Zeit der Besatzung, als die Besatzer ihren Sohn, den 47-jährigen Zhenya zusammen zwei Nachbarn wegbrachten. Sie stülpten ihm eine Tasche auf den Kopf und brachten ihn irgendwohin. Sie wusste nichts über den Verbleib ihres Sohns und ging mit schmerzenden Beinen zur russischen Kommandantur, um wenigstens etwas herauszufinden. Sie warf sich den Autos der russischen Kommandanten zu Füßen, um sich nach ihrem Sohn zu erkundigen. Sie erzählt, wie das russische Militär sein “Offizierswort” gab, dass sie ihrem Sohn nichts tun, ihn nur verhören und freilassen würden.
“Als erstes kam der Nachbar zurück, Vitya. Schrecklich. Seine Augen bewegten sich hin und her, er wirkte verstört. Und da war ein Streifen um den Hals – eine Schlinge war zugezogen worden. Der zweite wurde irgendwo in der Nähe von Cherson von Vova aufgegriffen. Ganz Blau. Und der letzte, der kam, war mein Sohn Zhenya. Das Tor öffnete sich und ich schrie. Oksana, seine Frau, fiel sofort in Ohnmacht. Du hättest ihn sehen sollen, wie ein Halm im Wind. Er kann nicht sprechen, er keucht. Der Blick schweift ab, es gibt keine Koordination. Alles blau, blau und schwarz. Er hatte Verbrennungen an einem Bein und wurde viermal mit einem Elektroschocker traktiert. Er sagte: “Wenn es noch einen Tag gedauert hätte, ich hätte mich erhängt, ich hätte es nicht ertragen.“
Danach hatte Nadiya Buntschuk vor nichts mehr Angst, nicht einmal vor einer Granate, die direkt hinter ihrem Haus einschlug. Sie durchschlug das Dach, zerstörte den Schornstein und unterbrach den Strom. Alle Fenster wurden zerstört, die Wände bekamen Risse.
Sie erinnert sich auch daran, wie es im Herbst plötzlich ungewöhnlich ruhig im Dorf wurde. Tag und Nacht dieser Stille waren schlimmer als Explosionen. Und dann tauchten Autos und Panzer mit der ukrainischen Flagge auf. Frauen stürmten auf die Straße, winkten mit den Händen, warfen Blumen unter die Panzer, umarmten die Soldaten und gaben ihnen zu Essen. Sofort trafen Militärärzt:innen ein, brachten Wasser und Medikamente und untersuchten die Menschen. Im Dorf gab es Essen und das normale Leben begann.

Die Folgen der Sprengung des Kachowka-Staudamms
Im Sommer dieses Jahres wurden sie erneut auf die Probe gestellt, als das russische Militär das Wasserkraftwerk Kachowka in die Luft sprengte. Viele Menschen im Dorf verloren ihr Zuhause. Solange das Wasser das Haus vollständig bedeckte, konnte es nicht repariert werden. Die Ernte in den überschwemmten Gärten ging verloren. Und es gibt nichts, womit man arbeiten könnte. Die Russen nahmen Nadiya Buntschuks Auto mit, zertrümmerten einen Lastwagen, einen Traktor und eine Sämaschine, nahmen 2 Tonnen Dieselkraftstoff und Getreide mit und zertrümmerten ein Lagerhaus.
Hinzu kommt, dass das Land rund um das Dorf vermint ist und die Menschen dort nicht arbeiten können. Dorf, Erst kürzlich starb ein 19-jähriger Junge aus dem Dorf durch eine Mine. Nadiya Buntschuk lebt in der Zukunft, denkt darüber nach, wie sie das Haus renovieren kann, ihrem Sohn helfen kann, sich von der Folter zu erholen. Und dann sind da noch die Bienen.
Jetzt strahlt Nadiya trotz der Schwierigkeiten Optimismus und den Wunsch aus, der Welt zu zeigen, dass sie überlebt habt, egal was passiert.
An den Zweiten Weltkrieg kann sie sich nicht erinnern, da sie kurz vor seinem Ende geboren wurde. Ihre Tante Nadiya war Zwangsarbeiterin in Deutschland. Ihr Großvater Jakow Bely wurde ebenfalls zur Arbeit gebracht, erkrankte aber und wurde als angeblich „arbeitsunfähig“ von den Nationalsozialisten getötet.
Die Eltern überlebten. Nadiya erinnert sich, dass die Familie nach dem Krieg sehr arm war, es gab nichts zu essen. Aber das ist Vergangenheit. Jetzt strahlt Nadiya trotz der Schwierigkeiten Optimismus und den Wunsch aus, der Welt zu zeigen, dass sie überlebt habt, egal was passiert.