Vik­tor Petro­wytsch Zoloty

Repor­ta­ge von Lesya Kharchenko

Viktor Petrowytsch Zoloty
Vik­tor Petro­wytsch Zolo­ty / Alle Fotos: © Lesya Kharchenko

Vik­tor Petro­wytsch Zolo­ty, gebo­ren 1940, lebt im Dorf Wasy­l­iw­ka im Gebiet Mykolajiw.

Vik­tor Petro­wytsch Zolo­ty lächel­te uns, die Frem­den, die ihn von sei­ner Arbeit ablenk­ten, so freu­dig und ein wenig kin­disch an, als hät­te er außer uns kei­ne Sor­gen. Als ob sein Gar­ten nicht voll­ge­stopft wäre mit zer­bro­che­nen Möbeln, Fla­schen, Lum­pen und vom Baum fal­len­den Äpfeln. Als ob sein Haus nicht schon zer­stört wäre von den Bom­bar­die­run­gen wäh­rend der acht­ein­halb Mona­te der rus­si­schen Besat­zung und spä­ter von dem ver­hee­ren­den Was­ser, das sein Dorf Was­sy­l­iw­ka im Gebiet Myko­la­jiw über­schwemm­te, nach­dem die Rus­sen das Was­ser­kraft­werk Kachows­ka in die Luft gesprengt hat­ten. Als ob sein Sohn nicht mit einer schwe­ren Schul­ter­ver­let­zung aus dem Krieg zurück­ge­kehrt wäre.
Vik­tor Petro­wytschs Augen leuch­ten, er freut sich über unge­be­te­ne Gäs­te, sein Nach­na­me ist nicht ohne Grund Zolo­ty (Gol­den). „Wahr­schein­lich war jemand in der Fami­lie reich“, sage ich. Er lacht nur.

Vor der Ankunft der rus­si­schen Armee wickel­te Vik­tor Zolo­ty die wert­volls­ten Exem­pla­re in Folie ein und ver­grub sie in der Erde. Und dann über­schwemm­te Was­ser auch das Haus und die Bücher lagen zehn Tage lang im Wasser.

Im Hof eines Nach­bar­hau­ses, das durch das Was­ser so stark beschä­digt wur­de, dass ein Woh­nen dort nicht mehr mög­lich ist, lie­gen vie­le Bücher aus­ge­legt und zei­gen ein für ein Dorf­haus völ­lig unge­wöhn­li­ches Bild. Auf dem Tisch lie­gen aus­ge­wähl­te Exem­pla­re, bereits mit beson­de­rer Sorg­falt getrock­net. Mir fal­len neue, ernst­haf­te Bücher über Geschich­te und Lite­ra­tur auf, und Wör­ter­bü­cher. Vor der Ankunft der Rus­sen wickel­te Vik­tor Zolo­ty die wert­volls­ten Exem­pla­re in Folie ein und ver­grub sie in der Erde. Und dann über­schwemm­te Was­ser auch das Haus und die Bücher lagen zehn Tage lang im Was­ser.

„Sie sind schon getrock­net, man kann sie lesen“, sagt Vik­tor Zolo­ty und hält ein was­ser­ge­schä­dig­tes Buch in der Hand, in dem er auf fast jeder Sei­te Text­stel­len mar­kiert hat. „Wenn neue Bücher erschei­nen bestel­le ich sie per Post aus Kyiv.“

Vik­tor Zolo­ty hat sei­ne Bücher zum Trock­nen ausgelegt. 

Vik­tor Zolo­ty, frü­her Diplom-Land­wirt und Buch­hal­ter, liest gern. Er gehört zu den sel­te­nen Ver­tre­tern der länd­li­chen Intel­lek­tu­el­len. Der Scha­den an den Büchern schmerzt am meisten.

Und dann ist da noch die Ver­let­zung sei­nes Soh­nes Wolo­dym­yr, der von 2014 bis 2015 kämpf­te und 2022 eben­falls in den Krieg zog. Er wur­de an der Schul­ter ver­letzt und in Deutsch­land behan­delt, wo ihm ein künst­li­ches Gelenk ein­ge­setzt wurde.

Viktor Zoloty trägt mit seinem Sohn Wolodymyr eine Waschmaschine.
Gemein­sam mit sei­nem Sohn Wolo­dym­yr will Vik­tor Zolo­ty sein Haus wie­der aufbauen.

Auf­bau­ar­beit

Sobald die rus­si­schen Trup­pen das Dorf betra­ten, such­te Vik­tor Zolo­ty nach einer Mög­lich­keit, das Dorf zu ver­las­sen, und zwei Wochen spä­ter gelang es ihm. Für ihn als Vater eines Sol­da­ten war die Besat­zung lebens­ge­fähr­lich. Als er nach der Befrei­ung des Dor­fes nach Hau­se zurück­kehr­te, fand er ein lee­res Haus vor: Alle Haus­halts­ge­rä­te und sogar Arbeits­ge­rä­te waren gestoh­len wor­den. Die Rus­sen hat­ten auch Zolo­ty altes Auto und Anhän­ger mit­ge­nom­men. Inner­halb weni­ger Mona­te zer­stör­te das Was­ser auch die Hin­ter­las­sen­schaf­ten der rus­si­schen Sol­da­ten: Möbel und Klei­dung.

Zusam­men mit sei­nem Sohn baut er ihr Haus wie­der auf, obwohl es eine nahe­zu unlös­ba­re Auf­ga­be zu sein scheint. Das Was­ser stieg um 1,7 Meter, zer­stör­te alles, was sich dar­un­ter befand, und leg­te die Gebäu­demau­ern frei. Die staat­li­che Kom­mis­si­on, die Ent­wick­lungs­hil­fe leis­tet, kam und sah die Män­ner arbei­ten. „Du machst das schon, du brauchst kei­ne Hil­fe.“ Zolo­ty lacht nur dar­über. Er weiß, dass er sich nur auf sich selbst ver­las­sen kann.

Wolodymyr schenkt seinem Vater Viktor Wasser in eine Tasse aus einem Wasserkanister ein.

Erin­ne­run­gen an den Zwei­ten Weltkrieg

Vik­tor Zolo­ty leb­te sei­ne gesam­ten 83 Jah­re in die­sem Haus. Sei­ne Kind­heit fiel in den Zwei­ten Welt­krieg, zwei Onkel star­ben im Krieg. Und Vik­tor Zolo­ty erin­nert sich, wie er mit sei­ner Schwes­ter davon­lief, um sich vor dem Beschuss zu ver­ste­cken. Damals wur­de sein Haus nicht beschä­digt. Statt­des­sen zer­stör­te der jet­zi­ge Krieg das Haus fast voll­stän­dig, ließ das Was­ser sogar noch einen hal­ben Meter wei­ter ansteigen.

Die Män­ner arbei­ten uner­müd­lich. Sie müs­sen ihr Leben kom­plett neu auf­bau­en. Sie haben drei Hun­de, zwei davon gehö­ren Nach­barn, die wäh­rend einer Über­schwem­mung vom Dach des Nach­bar­hau­ses geret­tet wur­den. Die Nach­barn flo­hen, die Hun­de blie­ben zurück. Sie saßen auf dem Dach ihres Hau­ses, bis sie von für­sorg­li­chen Men­schen geret­tet wurden.

Da sie kei­ne Autos mehr besit­zen, fah­ren die Män­ner Fahr­rad. Sie sagen, es sei bes­ser für die Gesund­heit. Dar­über hin­aus trinkt und raucht Vik­tor Zolo­ty nicht und ging sein gan­zes Leben lang viel spa­zie­ren. Er strahlt Lebens­freu­de und Opti­mis­mus aus. Zum Abschied ver­spre­che ich ihnen, Buch­neu­hei­ten zu schi­cken. Ich hof­fe, dass sie bei­de Zeit haben, ihr Haus für den Win­ter vor­zu­be­rei­ten, und sie an lan­gen Win­ter­aben­den in einem fried­li­chen Land lesen kön­nen, ohne Angst vor Besat­zung oder Gefan­gen­nah­me zu haben.

Viktor Zoloty mit Fahrrad

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